Ich möchte an dieser Stelle eine Erklärung und Stellungnahme zum Begriff Humanismus vermeiden. Seit Jahrhunderten diskutieren und streiten mehr oder weniger Fachleute über Humanismus und wie jemand ist, der sich damit identifiziert und wie er dann nicht sein darf. Ich sehe den Humanismus als eine Möglichkeit, miteinander über Grenzen hinweg leben zu können. Stellt man den Anthropozentismus – also den Mensch – nicht zwingend in den Mittelpunkt, denn das macht der Humanismus nicht automatisch, dann hat sogar die freie Wahl – frei im den Sinne, den die westliche Welt als frei kennt – der Ausübung religiöser Zeremonien noch Platz.
Der Humanismus also. Wie steht es im Humanismus mit der Technologie, die uns umgibt?
Ein Ereignis, das ich im Oktober 2014 interessiert verfolgte, zeigte mir zum wiederholten male, dass wir – der Homo Technologicus der modernen Welt – unseren Kurs überdenken sollten.
Es war die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den Informatiker Jaron Lanier [tschaeron lani-e]. Freilich möchte ein solches Ereignis in unserer Zeit Aufmerksamkeit auf sich ziehen, was in diesem Falle funktioniert hat. Sieht und hört man sich diesen Jaron Lanier näher an, erkennt man, dass er durch und durch Informatiker ist. Er spielt nicht nur auf Musikinstrumente, die vor 7000 Jahre bereits bestanden und gespielt wurden. Er bezeichnete Frank Schirrmacher als ein Licht in unserer Welt, das uns fehlen würde. Er gibt sich als Versteher, als ein Checker. Er sieht die Dinge klar, die vor sich gehen und wohin der Weg führen kann. Er ist Fellow an renomierten wissenschaftlichen Einrichtungen in den USA und er ist Softwareentwickler bei einem namhaften Hersteller, was ihn fachlich abhebt. Er versucht einen Weg zu definieren, auf dem alle Menschen die Technologie zu ihrem Gute nutzen können. Einige seiner Aussagen und Gedanken möchte ich hier kurz nennen, die er u.a. in der Paulskirche in Frankfurt am 12.10.2014 in seiner Dankesrede verlauten lies:
- die digitalen Netzwerke dieser Welt sollen dem Menschen zu Gute kommen. Dieser „digitale Kulturoptimismus“ sollte nicht benutzt werden um mit ausgefeilten Algorithmen letztlich das menschliche Tun vorhersagen zu können. Er nennt als Beispiel die digitalen Netzwerke um Energie, den Mangel sowie den Überschuss dessen über große Distanzen hinweg erkennen und mit Hilfe von Solarstrom ausgleichen zu können.
- die gegenwärtige Nutzung digital-vernetzter Medien sorge erst für die Möglichkeit der Überwachung der Benutzer, die das nicht erkennen. Das Sammeln von Daten erschaffe eine Klasse ultraelitärer, unberührbarer Technologen, die als kleine Gruppe Zugriff auf das Datenuniversum der Nutzer habe.
- In der Onlinewelt (gemeint sind hier v.a. die Sozialen Netzwerke) führe die These und Antithese nicht mehr zu einer höheren Synthese. Hegel definierte den Vorgang als Weg zum wissenschaftlichen Standpunkt. Lanier vergleicht: „Hegel wurde enthauptet“.
- Der Blick auf das große Ganze kann nur mit Medien geschehen, die außerhalb des großen Ganzen erstellt werden. Buchautoren teilen in Momenten mit dem Lesern gemeinsame Gedanken. Bücher stellen eine gedankliche Verbindung von Autor und Leser her. Heute gehen Bücher mit der Pflicht einher, Zeugnisse über Leserverhalten abzugeben um wiederum von wenigen mächtigen Stellen analysiert und bewertet zu werden.
- Der Glaube an das menschliche Wesen solle dem Glauben an die Maschinen vorkommen. Der Glaube an den Menschen sei vereinbar mit dem Glaube an Gott. Technologen sollten zumindest versuchen, den Menschen als solchen wahrzunehmen.
Letztlich sind es Freundschaften, Familien die den Menschen ausmachen, erstaunenswert machen und wirken lassen und auf das dieser sich verlassen sollte.
Aber wieso bringe ich hier Jaron Lanier? Es gab noch einen anderen Augenblick in der nahen Vergangenheit. Es war 2008 im März. Es starb ein anderer Pionier, der Computer und Netzwerke geprägt hat. Joseph Weizenbaum war es, der wenige Monate vorher noch Interviews gab und es bis zuletzt nicht lassen konnte, mit gehobenen Zeigefinger den User zu warnen, dass der gegenwärtige Weg, sich von Maschinen abhängig zu machen, falsch sei.
- Wenn der Computer Einsatz findet, kann diese Entwicklung nicht rückgängig gemacht werden. Er nennt Banken- und Börsensoftware als Beispiel. Er sprach damals in den 80ern von „künstlichen Intelligenzprogrammen“ – heute würde er Algorithmen sagen. Der Hebel könne nicht mehr zurückgelegt werden, wenn die Maschinen lebenswichtige Dienste ausführen würden.
- Der Mensch verlasse zu schnell die Realität und findet so die Partnerschaft zu der Maschine. Er traut der Maschinen zu schnell zuviel Kraft zu.
- Programme zur künstlichen Intelligenz (es ging um das von ihn selbst in 1966 entwickelte „Eliza“) geben Informationen aus, die der User schlicht falsch verstehen würde. Alleine die Aussage des Computerprogrammes „Eliza“ z.B. wie „Yes, i understand“ als Antwort auf von User eingegebe Wörter wie „Heute hatte ich einen schönen Tag“ bezeichnet der Autor der Software als „Lüge“.
Das Erlebnis mit Eliza muss ab 1966 prekär seine weitere Ansicht über die Maschine definiert haben. Er war enttäuscht wie schnell (es war damals eine Mitarbeiterin seiner Verwaltung) das Programm als ernster Kommunikationspartner akzeptiert wurde.
Bereits Anfang der 70er mahnte er publik („Die Zeit“ Hamburg, Ausgabe von Freitag, den 21. Januar 1972), dass der Mensch auf eine schwere geistige Krise zusteuern würde. Der Mensch traue der Maschine zu viel zu. Dieser ist ununterbrochen damit beschäftigt, darzulegen, der Computer beweise, dass der Mensch und seine intellektuelle Leistung doch nur eine Maschine aus Fleisch sei. Er verteufelte diese Ansichten: „Alleine eine solche These zu erwähnen bedeutet, dem Nutzen der Freiheit des Menschen, seiner Würde und seiner Anstrengung zu widersprechen“. Wie könne der Mensch sich das selbst nur antun?
Der Mensch solle versuchen, das Ende seiner Tätigkeit zu erkennen, zu erkennen wohin die Reise ginge. Und wenn er das vollendete Tun verantworten kann und wenn während der Entstehung und im letztlichen Nutzen ein Cancel möglich ist, dann solle der Mensch das tun was er für sinnvoll hält.
Der Mensch solle gegenseitigen Respekt üben und lernen bevor er sich an die Arbeit macht, er solle Vernuft dem Legen entgegen bringen und sich in Bescheidenheit besinnen.
Legendär war sein Auftritt auf dem Open Forum in Davos im Jahre 2008 (alles bei Youtube einsehbar) wo er wieder die künstliche Intelligenz kritisierte: „… und da wird ein absoluter Blödsinn gesagt, z.B. Sie sagen jetzt schon zwei mal – HALLO MIT IHNEN SPRECHE ICH – <its happening> und <es wird weitergehen> …“. Weizenbaum wetterte zurecht, dass die Audience keinen Ton von sich gibt, als der Wissenschaftler die KI prohezeit, die eh nicht verhindert werden kann. Der Gesprächspartner warf Weizenbaum vor „You are a little bit negativ“ wobei Weizenbaum den Faden aufnahm: „Nein, nicht nur ein little negativ, ich bin richtig negativ“ – prädikat Sehenswert, wie der Fachmann seine Meinung vertritt.
Am Ende meines Betrages erkennt man, dass obige beide Persönlichkeiten den Blick in die Büchse der Pandora geworfen haben und sich bekehrt haben.
Der Mensch müsse wieder eine bedeutendere Rolle bei der Suche seines selbst spielen. Eine Einstellung, die ich teilen möchte. Das Individuum in die Mitte rücken, den Menschen Mensch sein lassen. Seinen Glauben leben lassen, ihn akzeptieren, der wiederum weiß, dass er akzeptiert wird und ist – es wäre grandios!